Mein Leben mit Assistenz
Eine 100%ige Behinderung! Soll das eigentlich bedeuten, dass man gar nichts kann? Natürlich hätte ich mich dazu entscheiden können, so lange es geht bei meinen Eltern zu wohnen und dann in ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung zu ziehen. Dann hätte ich mir vielleicht viele organisatorische Mühen erspart, andere Dinge erlebt, aber eben nicht die Dinge, die MIR Spaß machen. Ich könnte niemals sagen, dass ICH etwas geschafft habe. Aber genau das gibt mir den Antrieb immer weiter nach vorne zu wollen, immer mehr erleben zu wollen und mir immer mehr zutrauen zu können.
Umsetzen kann ich das natürlich nur, weil ich mein Leben mit persönlicher Assistenz gestalte. Wie bei fast allem, was ich mache, ist das nicht ganz einfach.
Arbeitgeber- / Arbeitnehmerverhältnis
In meiner Funktion übe ich gleichzeitig verschiedenste Rollen aus. Ich bin der Chef, suche mir meine Mitarbeiter*innen, schalte die Anzeigen, führe die Bewerbungsgespräche und Teamsitzungen sowie Mitarbeitergespräche, gestalte den Einsatzplan, den Urlaubsplan und noch viel mehr. Gleichzeitig bin ich aber auch persönlich auf meine Assistenzkräfte angewiesen, da sie einiges für mich erledigen müssen und ich mich auf sie verlassen muss. Dazu gehört die Freizeitbegleitung, Haushaltsführung und natürlich auch die Pflege. Die Zeit, welche für meine Mitarbeiter*innen Arbeitszeit ist, ist für mich Freizeit. Und welcher Chef verbringt seine Freizeit schon mit seinen Mitarbeiter*innen? Deshalb bin ich sehr bemüht, mit meinem Team ein gutes Verhältnis zu pflegen. Dazu gehört natürlich auch, dass diejenigen, die bei mir arbeiten, sich sicher in dem fühlen, was sie machen.
Die individuelle Einarbeitung
Da ich nur selten mit ausgebildeten Fachkräften zusammenarbeite, gehört für mich eine umfassende Einarbeitung dazu. So begleiten mich meine Assistenzkräfte zu Beginn ihrer Arbeit zur Physiotherapie, wo sie verschiedene Techniken des Transfers lernen. Ob aus dem Rollstuhl ins Bett oder auf‘s Sofa, es ist alles eine Frage der Technik. Gerne proben wir auch für den „Ernstfall“ – was ist, wenn jemand hinfällt? Damit löst sich häufig schon eine große Sorge auf.
Meine Assistenzkräfte werden zu Beginn ausführlich angeleitet. Dazu verlasse ich mich auch auf meine erfahreneren Mitarbeiter*innen von denen jedes neue Teammitglied in den ersten Schichten unterstützt und eingearbeitet wird.
Ebenso führe ich dann noch ein Rollstuhltraining durch, damit meine Assistenzkräfte den Umgang mit dem Rollstuhl bewältigen können. Aber was für mich noch viel wichtiger ist: Neue Teammitglieder schauen sich selbst mal die Welt aus dem Rollstuhl an und werden geschoben. Das ermöglicht es ihnen sich für einen Moment in mich hineinzuversetzen. Diese Erfahrung haben die wenigsten vorher gemacht und sie sind erstaunt über das Erlebnis und das Vertrauen, das es braucht. Wenn das geschafft ist, können wir gemeinsam noch viel mehr hinbekommen – mehr dazu aber später.
Assistenz und der erste Arbeitsmarkt
Natürlich besteht auch mein Leben nicht nur aus Freizeit. Ich gehe auch einer beruflichen Tätigkeit nach – auf dem ersten Arbeitsmarkt. Arbeitgeber sind gesetzlich dazu verpflichtet auch schwer(st)behinderte Arbeitnehmer zu beschäftigen, andernfalls müssen sie eine Quotenabgabe leisten (weitere Informationen finden Sie unter Gesetze im Internet: SGB IX). So schön wie sich das anhört, wird es in der Realität jedoch nicht umgesetzt. Viele Menschen mit Behinderung haben immer noch große Probleme, einen Arbeitsplatz außerhalb der Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu finden. Ich habe also (auch) Glück gehabt!
Wie sich hier (Meine Person) nachlesen lässt, arbeite ich bei einem ambulanten Pflegedienst. Jetzt fragt man sich bestimmt, wie das in der Praxis abläuft. Da sind wieder meine Assistenzkräfte gefragt, die mich bei den Anforderungen, die meine Arbeit an mich stellt, unterstützen. In diesem Bereich gibt es vielfältige Aufgaben. Aufgrund meiner Körperbehinderung sind für mich Tätigkeiten wie Kopieren oder das Schreiben auf der Tastatur nur schwer möglich und auch beim Telefonieren gibt es hin und wieder Verständigungsprobleme. So springt meine Assistenz für mich bei unterschiedlichsten Tätigkeiten ein: Sie ist sozusagen meine rechte Hand.
Privatassistenz
Wenn die Arbeit geschafft ist, dann wartet auch schon die nächste Herausforderung auf meine Assistenzkräfte, die mich neben der Arbeit natürlich auch in meinem Alltag begleiten. Die alltäglichen Herausforderungen, wie die Bedienung eines Geldautomaten für einen Menschen mit Körperbehinderung oder der Einkauf im Supermarkt als Rollstuhlfahrer sind nur zwei kleine Beispiele der zu bewältigenden alltäglichen Hürden. Nicht nur deshalb ist es sehr wichtig, dass meine Assistenz einen Weitblick mit sich bringt und keine Angst hat, auch mal ungewohnte Dinge zu erleben. Denn nicht immer sind die Reaktionen nur positiv für mich. Wenn ich etwas kaufen möchte und vor Ort um Hilfe bitte, ist es nicht selten der Fall, dass nicht ich, sondern meine Assistenzkraft beraten wird. Ich werde aus Unsicherheit im Kontakt mit mir außenvorgelassen, in Situationen in denen ich selbstbestimmt entscheiden möchte. Deshalb ist es umso wichtiger, dass meine Assistenz mich gut kennt, um die Situation auf eine für alle angenehme Art und Weise in eine Richtung zu lenken, in der mir meine Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht genommen werden. Kurzum: Mit der Assistenz eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, ist für mich absolut notwendig.
Insbesondere in meiner Freizeit benötige ich das Vertrauen und die Unterstützung meiner Assistenz zur Verwirklichung meiner Wünsche, Ideen und Ziele. Meine Devise ist, dass ich mir und meiner Kreativität keine Grenzen setze, sondern ganz im Gegenteil über bestehende Grenzen hinauswachse. Nicht nur das Tauchen für Menschen mit Behinderung ist mein großes Hobby. Da ich ein sehr aktiver Mensch bin, habe ich in meiner Freizeit schon viele Dinge ausprobiert, vom Dreiradfahren bis zum Reiten, von einer Triketour bis zu einer Fahrt im Heißluftballon und Paragliding.
Besonders bei meiner großen Leidenschaft, dem Reisen, ergeben sich immer wieder Möglichkeiten, das Unmögliche zu probieren. Aber es entstehen auch Situationen, die trotz sorgfältiger Vorplanung nicht einzukalkulieren sind. So kann es vorkommen, dass in einem Hotel plötzlich alles anders aussieht als es vorgesehen war und der Rollstuhl nicht in den Fahrstuhl oder durch die Badezimmertür passt. Dann ist Kreativität gefragt, denn immer gibt es eine Lösung für solche Probleme und die Lösung zu Hause zu bleiben, ist für mich meinem Lebensmotto entsprechend keine Alternative:
Es gibt keine Probleme - es gibt nur Lösungen!
Etwas von der Welt zu sehen, verschiedene Kulturen kennen zu lernen und gute Zeiten zu haben ist das, was mich belohnt.
Denn: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt – mit oder ohne 100% Behinderung laut Gesetz!
Falls Sie sich nun vorstellen könnten, in diesen Bereichen zu arbeiten, schauen Sie doch einfach mal bei meinen Stellenauschreibungen nach.